HAMBURG – EINE STADT FÜR ALLE?

Beitrag FREIHAUS Nov 2024 von Christa Möller-Metzger

Kaum etwas ist so gut vorhersehbar wie der demografische Wandel. Wir leben länger, der Anteil der älteren Menschen wächst. Besonders die Gruppe der Hochaltrigen nimmt stark zu. Warum sind wir bisher nicht besser darauf vorbereitet?

In Hamburg machen die über 65-Jährigen in vielen Stadtteilen der Außenbezirke bereits rund 20 Prozent der Bevölkerung aus. Im Jahr 2035 werden auch die inneren Stadtteile diesen Anteil erreichen. Und was die allermeisten Älteren immer wieder sagen, ist: Wir wollen in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben! Dort, wo man sich auskennt, Freund*innen und Bekannte auf der Straße trifft. Interesse gibt es aber auch durchaus an kleineren Wohnungen mit „rentenkonformen“ Mieten, an Wohngemeinschaften und neuen Wohnprojekten, an Wohnungstausch und generationsübergreifendem Wohnen.

Wenn ein Umzug notwendig wird, sollte es aber das gleiche Viertel bleiben. Voraussetzung für ein Leben zuhause sind allerdings barrierefreie oder zumindestens barrierearme Wohnungen – und von denen gibt es lei- der nicht genug. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Hamburg vermutet, dass bis zum Jahr 2035 mindestens 70.000 barrierefreie Wohnungen fehlen werden. Diese Zahl können die Hamburger Behörden weder bestätigen noch entkräften, weil die Stadt bislang keine eigene Bedarfsermittlung für barrierefreie Wohnungen durchführt. Aber die Zahl zeigt einen Bedarf an, egal um welche Größenordnung es gehen wird. 

Der Handlungsdruck ist groß, trotzdem ist der demografische Wandel bis- her kein Thema, das Türen öffnet. Weder in den Medien, noch in der Politik, noch generell In der Gesellschaft. Wie kann das sein?
Eine Antwort: Die Bilder und Narrative des Alterns haben den Wandel der Älteren nicht mit- gemacht, sie sind die gleichen wie vor 20 Jahren. Wir denken an Gebrechlichkeit, Hilfsbedürftigkeit und Einschränkungen im Alltag. Und nicht daran, dass wir heute länger leben und die meisten auch länger fit und gesund bleiben.

Nach wie vor wird der Renteneintritt von Jüngeren als Zäsur verstanden, ab dann gehört man zum „Alten Eisen“. Begriffe wie „Altersheim Deutschland“, „Alters-Tsunami“, „Rentnerschwemme“ oder „Seniorenlawine“ framen unser negatives Altersbild zusätzlich. Das Alter erinnert an die eigene Endlichkeit und Sterblichkeit, und das macht Angst. Bei vielen Menschen kommen auch materielle Sorgen dazu, weil sie nur kleine Renten erwarten. Unbestritten ist es so, dass ein Teil der gewonnenen Lebensjahre im Alter beschwerlich werden kann. Aber es gibt eben nicht den einen Moment, an dem Menschen alt und gebrechlich wer- den. Und es werden auch nicht alle gebrechlich. 

Das Alter hat durchaus positive Seiten, die meisten Alten fühlen sich wohler als in jüngeren Jahren und sind zufrieden mit ihrem Leben – unabhängig davon, wie es ihnen gesundheitlich geht. Für sehr viele Menschen sind die Jahre nach der Rente auch hochproduktiv! Viele Ältere üben engagiert ein Ehrenamt aus, bringen sich bei Initiativen für die Integration von Geflüchteten oder Leseförderung von Kindern ein. Oder sie versorgen die Enkelkinder, damit die eigenen Kinder Job und Familie vereinbaren können. Andere möchten etwas beitragen für den Zusammenhalt in der Gesellschaft und helfen in der Nachbarschaft, kümmern sich um das Miteinander in den Quartieren. Die meisten Älteren wollen ihr ganz normales Leben weiterleben. 

Wie das klappt, mit welchen Schwerpunkten, ist individuell völlig unterschiedlich, je nach Fitness, Geldbeutel und Umgebung. Barrierefreie Wohnungen, am besten aus- gestattet mit Assistenzsystemen, sind Voraussetzung dafür – besonders angesichts fehlender Pflegekräfte und Heimplätze. Wir brauchen also eine altersfreundlich gestaltete Stadt, in der die Menschen lange und gut selbstständig leben können. 

Gestaltung des öffentlichen Raums

Die üblichen Hochglanz-Visualisierungen moderner Stadträume sperren ältere Menschen allerdings regelmäßig aus. Es liegt offenbar z.B. im Trend, Sitzgelegenheiten in möglichst originellem Design – oft mit tiefer Sitzfläche und ohne jede Lehne – als Stadtmobiliar nahezu unkenntlich zu machen. Das ist mit Blick auf zeitgemäße Bedarfe alles andere als modern.
Die Alternativen müssen nicht unbedingt „seniorengerechte Parkbänke“ in ruhigen Grünanlagen sein, wir könnten z.B. an belebten Plätzen „altersfreundliche Freundschaftsbänke“ aufstellen. Die sorgen für mehr Mobilität und weniger Einsamkeit, da sie signalisieren: Wer sich hier hinsetzt, hat Lust auf ein Gespräch. Generationenübergreifend. Obwohl die Bürgerschaft aber für Freundschaftsbänke Gelder zur Verfügung gestellt hat, wurde dieses Projekt bisher in so gut wie keinem Bezirk um- gesetzt.
Schwerfällige Strukturen scheinen in Hamburg leider immer wieder dazu beizutragen, dass alles so bleibt wie es ist. Freundschaftsbänke zur Erkennbarkeit mit Plaketten oder sogar mit bunten Arm- lehnen und Füßen aufstellen? Zu viel Arbeit, geht auch anders, brauchen wir nicht…
Was mehr auch gar nicht geht: Bänke abbauen, weil sich dort möglicherweise Obdachlose hinlegen könnten. Wir brauchen viel mehr statt weniger Bänke, für alle Menschen in Hamburg! 

Zu viele Barrieren!


Die starke Versiegelung macht in heißen Sommern besonders älteren Menschen zu schaffen. Genauso wie fehlende Barrierefreiheit: Beliebt bei Stadtplaner*innen sind Kopfsteinpflaster-Plätze, die bei Knieproblemen oder mit Rollator schwer zu queren sind. Auf einer Seniorendelegiertenversammlung wurde deshalb gerade der U-Bahn-Ausstieg in der Mönckebergstraße kritisiert. Über einige Plätze führen schmale ebenflächige Streifen, über die sich gut rollen lässt. Solange niemand mit Kinderwagen oder Rollstuhl entgegenkommt.
Auch der Rathausmarkt ist nicht besonders altersfreundlich: zu viele Stufen, die man leicht übersieht. Bei einem Rollstuhltest zusammen mit der Allianz Pflegender Angehöriger und der Hafencity Universität fiel er jedenfalls was unnötige Barrieren angeht, durch. Bei neuen Projekten wird die Beteiligung Älterer oft vernachlässigt, da Befragungen gern online angeboten werden. Offliner*innen bleiben ausgeschlossen. 

Eine altersfreundliche Planung ist gefragt

Für Selbstständigkeit im Alter wird bisher zu wenig getan. Dass es dabei nicht um Wohltätigkeit, sondern um basale Menschenrechte geht, wird oft nicht erkannt. Im Gegenteil ist es an vielen Stellen sogar so, dass ältere Menschen als Schuldige ausgemacht werden, wo in Wahrheit Angebote fehlen: Sie wohnen in zu großen Wohnungen (weil Wohnungstausch nicht unterstützt wird), sie fahren zu viel und zu lange Auto (weil es keine ausreichenden und erschwinglichen Alternativen gibt), sie gehen zu häufig zum Arzt (weil sie mit ihren gesundheitlichen Sorgen keine anderen Ansprechpersonen haben). 

Als eine junge Bürgerschaftskollegin unlängst aus ihrer Altonaer Genossenschaftswohnung auszog, bat sie die Verwaltung, doch einmal bei den älteren Mieter*innen im Haus nachzufragen, ob sie nicht in die freigewordene barrierefreie Wohnung umziehen wollten. Antwort: Zu viel Aufwand für die Verwaltung. 

Es wäre so wichtig, an den unterschiedlichsten Stellen die Idee der Altersfreundlichkeit mitzudenken: Umzüge in eine kleinere Wohnung sollten im Alter durch tatkräftige Hilfe bei der Wohnungs- suche sowie beim Aussortieren und Kistenpacken unterstützt werden. HVV-Seniorentickets müssen günstig sein, genau wie On-Demand-Shuttles, die wohnungsnah abholen, auch in den Außenbezirken. Treffpunkte und Beratungsangebote für alle Lebenslagen sollten in jedem Quartier zu finden sein. Und klar ist: Altersfreundliche Einrichtungen und Angebote sind früher oder später für alle Generationen gut! Angeblich schwelende Generationenkonflikte lassen sich konkret und vor Ort lösen. 

Im Übrigen: Altersfreundlich sagt viel mehr aus als seniorengerecht. Es kann durchaus altersgerechte Heime geben, die gar nicht altersfreund- lich sind. 

Auf all diese Entwicklungen können wir politischen Einfluss nehmen. Leider spielt Alterspolitik eine untergeordnete Rolle in Politik und Verwaltung. Und wer als Politiker*in Karriere machen möchte, sucht sich andere Themen aus, denen auch die Medien höhere Aufmerksamkeit schenken! 

Good News: Es gibt Lösungen! 

Allen Widrigkeiten zum Trotz treten wir in diesem Jahr mit dem Aktionsplan „Altersfreundliche Stadt“ an, denn wir brauchen einen Aufbruch, der allen 

Generationen zugute kommt. Dieser Aktionsplan enthält über 100 Maßnahmen, die das Leben im Alter in Hamburg leichter machen werden. 

Über den Stadtentwicklungsfonds soll lebenslanges Wohnen im Quartier ermöglicht werden, die Einrichtung altersfreundlicher Wohnungen soll gefördert und Förderprogramme jährlich überprüft werden, zukünftig soll bei Neubauten bereits schon ab zwei Wohnungen ein barrierefreier Zu- gang ermöglicht werden, es soll eine zielgruppen- spezifische Ansprache und Beteiligungsangebote für die Quartiersgestaltung geben, das Programm der Freundschaftsbänke soll nun umgesetzt werden, das Beratungsangebot zu AAL-Systemen soll mit Blick auf eine Verstetigung evaluiert werden, uvm. Insgesamt 18 Maßnahmen werden allein im Be- reich Wohnen und Quartiersentwicklung genannt! 

Hamburg hat sich auf den Weg gemacht! Und das sind wirklich richtig gute Nachrichten! 


Hier kann die ganze Ausgabe heruntergeladen werden.

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